Da ist es schon wieder passiert: du hast die Nerven verloren und dein Kind angeschrien. Mist.
Dass das nicht toll ist, weißt du vermutlich selbst.
Du spürst es, wenn es passiert ist, siehst es am Gesicht deines Kindes und merkst es an deinem schlechten Gewissen.
Es passiert so gut wie allen Eltern – und wenn es so einfach abzustellen wäre, hättest du es längst getan, stimmt´s?
In diesem Artikel erfährst du,
- warum du versuchen solltest, weniger zu schreien,
- was daran so schwierig ist und
- wie du es trotzdem schaffen kannst.
Inhaltsverzeichnis
ToggleWas macht es mit deinem Kind, wenn du es anschreist?
Ein Kind, das angeschrien wird, fühlt sich bedroht.
Im Nervensystem deines Kindes gehen alle Alarmglocken an, es werden sämtliche Stresssysteme aktiviert.
Gleichzeitig hat ein Kind noch wenig Möglichkeiten, mit diesem Stress umzugehen. Es hat noch keine guten Strategien dafür gelernt und hat wegen der Abhängigkeit von uns Eltern ja auch gar nicht so wahnsinnig viele Optionen.
Es entstehen Gefühle wie Ohnmacht und Hilflosigkeit, die sehr überwältigend sein können.
Passiert so etwas häufig, dann verändert sich das Stresssystem dauerhaft. Und das kann Auswirkungen haben auf die psychische Gesundheit und über das Hormon- und Immunsystem auch auf die körperliche Gesundheit – vom Selbstwertgefühl brauch ich glaub ich nicht anfangen.
Puh, harter Brocken, oder?
Ich schreib das nicht, damit du in Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen versinkst.
Aber es hat ja auch keiner was davon, wenn wir das alles totschweigen und einfach weitermachen, wie bisher.
Am wenigsten unsere Kinder.
Ist jedes Lautwerden ein Problem?
Heißt das jetzt, du darfst als Elternteil nie mehr laut werden? Musst du immer nett-säuselnd kommunizieren?
Nein.
Nicht allein die Lautstärke bestimmt, ob etwas gewaltvoll ist.
Man kann in nett-säuselndem Tonfall sehr gemein sein und man kann gewaltfrei laut sein. Zum Beispiel, wenn dein Kind dir im Spiel weh tut und du laut “Aua, man das hat mir weh getan” schreist – einfach als Ausdruck dessen, was du gerade spürst.
Wenn aber das Kind selber angeschrien, abgewertet, gedemütigt, beschuldigt wird, dann ist das schädlich.
Wie kommt es dazu, dass du dein Kind anschreist?
Ja, wie kommt es dazu, obwohl du dir vornimmst, nicht mehr zu schreien? Obwohl du diesmal geduldiger sein wolltest?
Am Ende läuft es immer darauf hinaus, dass in deinem eigenen Nervensystem eine Stressreaktion abläuft, die du nicht mehr stoppen kannst.
Warum das so ist und was genau da passiert, kannst du hier nachlesen.
Bis es soweit kommt, ist aber schon einiges passiert. Und da spielen drei Faktoren eine Rolle:
Eure Rahmenbedingungen
Dazu zählen äußere Umstände, die deine Elternschaft beeinflussen.
Dinge, die du nicht beeinflussen kannst:
- ob und in was für einer Partnerschaft du lebst
- welche soziale Unterstützung du hast
- Ressourcen wie z.B. Geld, Wohnsituation, Kinderbetreuung
- Bedingungen deiner Erwerbsarbeit
Dinge, die du beeinflussen kannst:
- Freizeitaktivitäten (können Stressfaktoren oder auch Kraftquelle sein)
- Gestaltung deines Alltags
Dein Kind
Manche Kinder sind herausfordernder zu begleiten als andere. Weil sie ein entsprechendes Temperament haben, eine Krankheit oder Behinderung.
Das kannst du nicht ändern und es ist auch keine Rechtfertigung dafür, das Kind anzuschreien.
Aber es ist wichtig, das anzuerkennen!
Du selbst
Du bist natürlich auch ein individueller Mensch mit Stärken und Schwächen und einer Geschichte.
Deine eigene Prägung und Bindungserfahrung beeinflusst sehr, wie du mit deinem Kind umgehen kannst.
Wenn du dazu mehr lesen willst, kannst du das hier tun.
Außerdem macht es einen Unterschied, wie gut es dir grundsätzlich und gerade im Moment geht.
Sind deine eigenen Bedürfnisse gut erfüllt, gerätst du weniger schnell in Stress, als wenn du selbst schon auf dem Zahnfleisch gehst.
So hörst du auf, dein Kind anzuschreien: 5 (plus 1) Schritte
Es gibt leider keinen Schalter, den du umlegen kannst, um ab sofort nie mehr auszurasten.
Es erfordert etwas Arbeit und Geduld. Trotzdem lassen sich auch eingefahrene Verhaltensmuster ändern!
Los geht´s!
1. Alltag nach euren Bedürfnissen gestalten
Soweit eure Rahmenbedingungen es zulassen: schaut, was euch als Familie gut tut!
- Viele Unternehmungen oder lieber in Ruhe zu Hause?
- Häufig Freunde treffen oder eher nur sehr ausgewählt?
- Kinderkurse oder chillen daheim?
- Aufwändig kochen oder schnell was hergerichtet?
Es gibt kein richtig oder falsch, kein “man sollte aber”. Richtig ist, was sich für euch als Familie gut anfühlt.
2. Erwartungen an kindliche Entwicklung anpassen
Oft erwarten wir von unseren Kindern Dinge, die sie auf Grund ihrer Entwicklung einfach noch nicht können.
Das sorgt dann schnell für Ärger: “das müsste doch langsam mal klappen…”, “andere Kinder können doch auch mal…” oder “kann die/der nicht einfach mal…” und endet oft in Schreierei.
Als Grundregel gilt: Das, was dein Kind kann, kann es. Das, was es nicht kann, kann es nicht.
So einfach 🙂
Passe deine Erwartungen an das Kind an, denn andersherum wird es nicht klappen.
3. Achtsamkeit
Versuche, wachsam dafür zu sein, was gerade los ist, also wie es dir und deinem Kind gerade geht.
Oft entstehen Streitsituationen nicht völlig überraschend. Es gibt Vorboten, die uns im turbulenten Familienalltag aber leicht entgehen.
Beispiel: Wenn es dir gelingt, deine eigene Erschöpfung oder die Müdigkeit deines Kindes frühzeitig zu erkennen, dann kannst du rechtzeitig eingreifen und den Spielplatzbesuch beenden, BEVOR alle völlig erledigt und zu keiner Mitarbeit mehr fähig sind.
4. Notfallstrategien
Eins sollte dir klar sein: deine Wut runterschlucken funktioniert nicht. Stattdessen solltest du Wege finden, sie nicht an deinem Kind auszulassen.
Übe also, die anrollende Wut wahrzunehmen, bevor du explodierst!
Dann kannst du folgende Dinge ausprobieren:
- in ein Kissen brüllen
- kurz aus dem Raum gehen (sofern dein Kind in Sicherheit ist!)
- Energie loswerden durch körperliche Bewegung: Hampelmann, in die Luft boxen, Treppen laufen
- Tanzen, singen als Ventil
- einige bewusste Atemzüge machen
5. Reflektion
Im Nachhinein macht es Sinn, dass du die Situation nochmal für dich selbst durchgehst (reflektierst):
- Wann war noch alles gut?
- Wie hat der Stress angefangen?
- Was gab es vielleicht für Anzeichen, die du in dem Moment nicht richtig eingeordnet hast?
Aber auch:
- Welche unwillkürlichen Gedanken, Interpretationen, Bewertungen sind dir in dem Moment durch den Kopf gegangen, die die Wut mit ausgelöst haben?
Es braucht etwas Übung, aber oft zeigt sich ein bestimmtes Muster.
Vielleicht hast du wertende Gedanken über dein Kind, die du im “klaren” Zustand niemals denken würdest? Komm dir selbst auf die Schliche! Erst dann kannst du dein Verhalten wirklich ändern.
Wichtig: versuche, dir selbst Mitgefühl entgegen zu bringen. Alles, was du denkst und fühlst, ergibt aus deiner eigenen Geschichte heraus Sinn.
Zusatztipp: Hol dir Unterstützung
Manchmal sitzen die eigenen Muster so tief, dass du alleine keine Änderung erreichst. Dann kann es Sinn machen, mit professioneller Unterstützung daran zu arbeiten.
Das kann eine gute Erziehungsberatung sein, sofern sie bindungsorientiert und traumainformiert arbeitet. Kostenlose Angebote findest vor Ort vor allem von kirchlichen Trägern. Auch die Jugendämter sind Anlaufstellen, dort haben alle Eltern die Möglichkeit, sich in Erziehungsfragen beraten zu lassen.
Ein Familien- oder Elterncoaching ist eine gute Möglichkeit, noch mehr an dir und deiner Prägung zu arbeiten.
Falls nötig, ist auch eine Psychotherapie hilfreich.
Was tun, wenn es doch wieder passiert ist?
Stell deinem Kind gegenüber klar, dass dein Verhalten nicht in Ordnung war.
Denn dein Kind wird niemals von allein auf die Idee kommen, dass du dich falsch verhalten haben könntest. Viel mehr wird es sich selbst in Frage stellen. Es wird die Überzeugung entwickeln, dass es offensichtlich verdient hat, so behandelt zu werden und dass okay ist, so miteinander umzugehen.
Daher ist es wichtig, anzuerkennen: “Das war nicht richtig von mir, du hast nichts falsch gemacht!” Übernimm die Verantwortung für dein Verhalten. Eine aufrichtige Entschuldigung hilft dabei.
Die Verantwortung für die Beziehung zu deinem Kind trägst immer du! Auf keinen Fall solltest du dem Kind die Schuld für deinen Ausraster geben. So nach dem Motto “selber Schuld, hättest du mal lieber auf mich gehört” oder “nur weil du so rumtrödelst, muss ich wieder schimpfen”. Das wäre Täter-Opfer-Umkehr und emotionale Gewalt.
Also: übernimm Verantwortung, entschuldige dich, und arbeite daran, dass es möglichst nicht immerzu wieder passiert.
Also: Geh´ los – und hab Geduld
Für dein Kind solltest du unbedingt daran arbeiten, weniger zu schreien. Auch wenn es nicht ganz einfach ist und du nicht von heute auf morgen große Veränderungen erreichen wirst – es lohnt sich auf jeden Fall!
Möchtest du noch mehr dazu lesen?
Hier liest du, wie du in 4 Schritten mehr Leichtigkeit in deinem Familienleben findest.
Mehr zum Thema unrealistische Erwartungen (als Auslöser für Stress und Wut) liest du hier.
Wie du die anrollende Wut frühzeitig erkennst, steht in diesem Artikel.
Was dein Schreien mit deiner inneren Landkarte zu tun hat, liest du hier.
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