Wenn du dich schon ein bisschen mit dir selbst auseinandergesetzt hast und dich gefragt hast, wie du die Beziehung zu deinem Kind verbessern könntest, bist du bestimmt auch schon über sie gestolpert: die berühmten Glaubenssätze.
In der Persönlichkeitsentwicklung und für Verhaltensänderungen scheint man an ihnen nicht vorbei zu kommen.
Und jede*r hat eine passende Strategie parat, wie man mit ihnen umzugehen hat: „Wie Sie negative Glaubenssätze in 7 Schritten auflösen… oder in 6… oder sie durch positive Glaubenssätze ersetzen…“
Hast du davon schonmal was ausprobiert? Ja? Hat´s funktioniert?
Vermutlich nicht. Oder jedenfalls nicht anhaltend.
Das liegt daran, dass Glaubenssätze meiner Meinung nach kolossal unterschätzt werden.
Aber von vorn…
Inhaltsverzeichnis
ToggleWas sind eigentlich diese ominösen Glaubenssätze?
Glaubenssätze sind Schlussfolgerungen, die du unbewusst und unbemerkt aus den Erfahrungen gezogen hast, die du gemacht hast.
Es sind tief in deiner Persönlichkeit, deinem Wesen, deinem Nervensystem verankerte „Wahrheiten“. Ich schreibe „Wahrheiten“, weil es sich für dich so anfühlt, als seien es welche. Tatsächlich sind es aber „nur“ Überzeugungen.
Es sind Überzeugungen über dich und die Welt, die Einfluss auf deine Entscheidungen, dein Verhalten, deine Gedanken und deine Gefühle haben. Sie bestimmen, was du über dich selbst glaubst.
Letztlich sind es Verbindungen zwischen Nervenzellen, die sich als nützlich erwiesen haben und deshalb mit der Zeit immer stärker und stabiler geworden sind.
Glaubenssätze haben dir dabei geholfen, dich in deiner Welt und in deinem sozialen Umfeld zurecht zu finden. Die meisten hast du schon seit deiner Kindheit, weil du da noch sehr auf dein Umfeld angewiesen warst und noch wenige Strategien hattest, um mit ungünstigen Umständen umzugehen.
Natürlich müssen die nicht immer negativ sein. Aber die positiven beeinträchtigen in der Regel nicht die Beziehung zu unserem Kind. Was uns im Heute Schwierigkeiten bereitet, sind die Folgen von Erfahrungen im Gestern, die eben nicht so förderlich waren.
Wie entstehen Glaubenssätze?
Um ungünstige Glaubenssätze zu entwickeln, musst du keine schreckliche Kindheit und keine garstige Mutter gehabt haben. Und schon gar nicht müssen die problematischen Dinge absichtlich oder vorsätzlich passiert sein.
Es reicht völlig, wenn du zum Beispiel mehr Zuwendung bekommen hast, wenn du dich liebevoll um dein kleines Geschwisterchen gekümmert hast. (typischer Glaubenssatz, der daraus entstehen kann: „Ich muss dafür sorgen, dass es den anderen gut geht“)
Oder dass du ignoriert wurdest, wenn du wütend warst. („Wenn ich starke Gefühle habe, werde ich abgelehnt“)
Oder dass deine Bindungsperson beleidigt war, wenn du mal nicht kuscheln wolltest. („Wenn ich meine Grenzen wahre, riskiere ich, verlassen zu werden“)
Wichtig: Dabei waren intensive, unangenehme Gefühle im Spiel! Beim Ignoriert werden entstand vielleicht Angst, bei der beleidigten Bindungsperson fühlte das Kind vielleicht Scham.
Aus all diesen kindlichen Wahrnehmungen, Gefühlen und Erfahrungen hat dein Gehirn Muster herausgearbeitet. Aus diesen Mustern sind dann besonders stabile Nervennetzwerke entstanden, man nennt sie auch Glaubenssysteme. Diese Glaubenssysteme hatten folgendes Ziel:
Sie sorgten dafür, dass du als Kind wusstest, in welchem Umfeld mit welcher Verhaltensstrategie am ehesten deine Bedürfnisse erfüllt wurden.
Das hat mit kalter Berechnung nichts zu tun sondern ist pure Überlebensnotwendigkeit. Denn die Bindung aufrecht zu erhalten, ist für Menschenkinder oberste Priorität. Ohne Bindung ist kein Kind lebensfähig und es wird daher alles tun, um diese sicher zu stellen. Auch wenn es dafür seine Grenzen übergehen, Gefühle unterdrücken oder schmerzhafte Überzeugungen über das eigene Selbst entwickeln muss.
Wie wirken meine eigenen Glaubenssätze?
Glaubenssätze sind mächtig. Sie wirken oft in alle Lebensbereiche hinein. Sie sind manchmal schwer zu erkennen. Und meistens können wir sie nicht so einfach abzulegen.
Echte Glaubenssätze sorgen dafür, dass du eine bestimmte Sicht auf die Welt hast und dass du Situationen unbewusst auf eine gewisse Art und Weise interpretierst. Sie versursachen bestimmte Gedankenmuster. Und diese Gedanken können dann gewisse, unangenehme Gefühle hervorrufen.
Und weil wir Menschen unangenehme Gefühle nicht so gern fühlen wollen, entwickeln wir Handlungsstrategien, um diese unangenehmen Gefühle möglichst zu vermeiden. Alles ohne, dass es es uns bewusst ist!
Hast du zum Beispiel den Glaubenssatz „ich muss dafür sorgen, dass es den anderen gut geht“, kannst du es schlecht aushalten, wenn dein Kind schlechte Laune hat. Oder wenn es seine Hausaufgaben nicht macht und du fürchtest, dass es in der Schule Ärger kriegt.
Hast du gelernt, dass du abgelehnt wirst, wenn du starke Gefühle hast, dann wirst du diese Gefühle unterdrücken und sie vielleicht irgendwann gar nicht mehr spüren. Oder erst dann, wenn du scheinbar aus dem Nichts vor Wut explodierst und dich die Wucht dieser Emotion erschreckt und ängstigt.
Lautet deine Grundüberzeugung „wenn ich meine Grenzen wahre, riskiere ich, verlassen zu werden“, wirst du mit hoher Wahrscheinlichkeit ständig deine Grenzen übergehen, bis du vielleicht völlig erschöpft und überlastet bist oder dich vielleicht sogar in Beziehungen wiederfindest, die dir nicht gut tun. Oder bis eben ausgerechnet dein Kind mit seinem Verhalten das Fass zum Überlaufen bringt und du dich fragst, warum dein Nein nie akzeptiert wird.
Das alles tust du nicht bewusst und schon gar nicht absichtlich – es passiert einfach so weil der Kompass deiner frühkindlichen Erfahrungen eben so ausgerichtet ist.
Glaubenssätze können also dein Wohlergehen und deine Zufriedenheit beeinträchtigen. Und sie beeinflussen dein Verhalten gegenüber deinem Kind.
Kann ich bei meinem Kind positive Glaubenssätze erzeugen?
Vielleicht stellst du dir die Frage, wie du bei deinem Kind negative Glaubenssätze verhinderst? Oder noch besser: Wie kannst du deinem Kind zu positiven Glaubenssätzen über sich selbst verhelfen?
Tatsächlich hat vor Kurzem ein großer Instagram-Account empfohlen, seinem Kind täglich liebevolle Botschaften zu sagen, damit es daraus positive Glaubenssätze entwickeln könne.
Dabei wurde ein wichtiges Detail übersehen:
Wahrnehmung sticht Worte. Immer.
Das heißt: die schönsten Worte nützen deinem Kind nichts, wenn seine Wahrnehmung etwas anderes, Gegenteiliges meldet.
Und auch wenn du dir vielleicht etwas anderes WÜNSCHST wird doch dein Kind immer wahrnehmen, was du TUST und mit welcher HALTUNG.
Du sagst deinem Kind, dass du es liebst, während du es in sein Zimmer schickst, weil es den Bruder gehauen hat?
Du sagst deinem Kind, wie mutig es ist, während du ängstlich bei jedem Kletterversuch auf dem Spielplatz an seine Seite sprintest?
Kurz gesagt, du sagst deinem Kind etwas andere, als es wahrnimmt und fühlt? Nicht deine Worte werden sich einprägen, sondern deine Haltung. Noch dazu lernt dein Kind, dass es seiner Wahrnehmung offensichtlich nicht vertrauen kann, denn sie passt ja nicht mit dem zusammen, was du sagst.
Die Antwort ist also: Nein, durch Worte kannst du bei deinem Kind keine positiven Glaubenssätze verankern.
Sehr wohl aber dadurch, dass du möglichst feinfühlig auf die Bedürfnisse und Gefühle deines Kindes eingehst. Und dadurch, dass du dir deiner eigenen Glaubenssätze bewusst bist!
Glaubenssätze – kraftvolle Puzzleteile deiner Persönlichkeit
Glaubenssätze sind kraftvoll und haben große Auswirkungen auf dich und dein Leben – und deine Familie. Das heißt aber nicht, dass du ihnen hilflos ausgeliefert bist und dich mit ihnen arrangieren musst. Wie du mit ihnen arbeiten – sie vielleicht sogar auflösen kannst – kannst du in diesem Artikel lesen.
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